Bund-Länder-Besprechung

 

zu den rehabilitierungsrechtlichen Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und zu deren Fortentwicklung

am 24. November 2023 im Bundesministerium der Justiz

Ergebnisprotokoll vom 23. Januar 2024

 

1. Begrüßung

 

2. Aufträge im Koalitionsvertrag zu den Rehabilitierungsgesetzen (StrRehaG, VwRehaG, BerRehaG)

a) Erleichterung der Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen für Opfer der SED-Diktatur, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden

 

aa) SED-Opferbeauftragte: Einführung einer dem § 63c Absatz 2a SVG nach-gebildeten Vermutungsregelung (vgl. BT-Drucksache 20/2220, S. 8 f. und BT-Drucksache 20/7150, S. 23-27)

Die Länder zeigten sich grundsätzlich offen für Verbesserungen, äußerten aber – ebenso wie BMJ und BMAS – ganz überwiegend Bedenken gegen den Vorschlag einer neuen Vermutungsregelung in Anlehnung an § 63c Absatz 2a des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG). Die Besserstellung einer bestimmten Opfergruppe (SED-Opfer) sei sachlich nicht gerechtfertigt und füge sich nicht in das Soziale Entschädigungsrecht ein. Zudem sei die Situation der SED-Opfer nicht vergleichbar mit den von § 63c Absatz 2a SVG erfassten Sachverhalten. Mit Blick auf die ab dem 1. Januar 2024 geltenden Neuerungen im SGB XIV (insbesondere § 4 Absatz 5 SGB XIV) sei fraglich, ob eine neue Vermutungsregelung überhaupt einen Mehrwert für Betroffene habe, insbesondere wenn sich aus den Akten Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung ergäben.

 

bb) Mögliche Alternativen:

 

(1) Befassung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin (vgl. § 3 der Versorgungsmedizin-Verordnung) mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und versorgungsmedizinischer Erfordernisse zur Bewertung komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen aufgrund politischer Verfolgung (vgl. BR-Drucksache 316/18 (Beschluss), S. 4)

Eine Befassung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin mit den Besonderheiten komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen aufgrund politischer Verfolgung wurde von den Ländern teilweise befürwortet. Das BMAS räumte ein, dass die Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht mehr ganz aktuell seien, wies aber zugleich darauf hin, dass der Beirat kein politisches Gremium, sondern ein Fachgremium sei. Von einer Befassung des Beirats mit dem Thema seien folglich keine Erkenntnisse zu erwarten, die über die des Verbundprojekts „Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht“ hinausgingen. Der Beirat werde sich voraussicht-ich Ende des Jahres 2023 neu konstituieren – erstmalig auch mit Be-troffenenvertretern. Für die Zeit nach der Neukonstituierung hoffe man auf eine umfassende Aktualisierung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Diese Grundsätze hätten spürbare Auswirkungen auf die Verfahren und böten damit gute Ansätze für Verbesserungen. Sonderregelungen für Opfer der SED-Diktatur in den Versorgungs-medizinischen Grundsätzen kämen allerdings nicht in Betracht. Der Beirat habe bereits in Zusammenhang mit der Verordnung zur Änderung der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung und der Versorgungs-medizin-Verordnung festgestellt, dass sich nicht rechtlich regeln lasse, welche Ereignisse als traumatisierend bzw. nicht traumatisierend einzuschätzen seien. Derartige Erkenntnisse erführen durch psychotraumatologische und epidemiologische Forschungsergebnisse laufend Veränderungen. Maßgebend sei der zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand. Diese Feststellung finde sich auch in der Begründung zu der genannten Verordnung (vgl. BR-Drucksache 185/23).

 

(2) Einrichtung eines Kompetenzzentrums zur Begutachtung von Langzeitfolgen bei SED-Opfern (vgl. BT-Drucksache 19/10613, S. 5 Nummer 5) bzw. eines entsprechenden Sachverständigen-Pools

Von Seiten der Länder wurde – mit Blick auf die teilweise geringen Fallzahlen – bezweifelt, ob die Einrichtung eines neuen Kompetenzzentrums wirtschaftlich sei. Stattdessen könne erwogen werden, bei der neuen Bundesstelle für Soziale Entschädigung (ab dem 1. Januar 2024) ein Verzeichnis mit medizinischen Sachverständigen zu führen, die in der Begutachtung von gesundheitlichen Langzeitfolgen politischer Verfolgung besonders qualifiziert und erfahren sind. Die neue Bundesstelle habe ausdrücklich die Aufgabe, als Kompetenzzentrum für Soziale Entschädigung das BMAS bei Aufgaben der Qualitätssicherung und bei der bundeseinheitlichen Durchführung der Sozialen Entschädigung zu unterstützen, insbesondere durch das Führen eines Verzeichnisses von im Sozialen Entschädigungsrecht erfahrenen medizinischen Gutachtern (vgl. § 124 Absatz 4 Nummer 5 SGB XIV).

 

(3) Zentralisierung der Antragsbearbeitung in den Ländern im Interesse einer Konzentration der erforderlichen Spezialkenntnisse bei jeweils einer Behörde (vgl. BT-Drucksache 20/2220, S. 9)

Die Länder BE, BB, MV (Mitteilung erfolgte nach der Bund-Länder-Besprechung), SN, SH und TH teilten mit, dass eine Zentralisierung der Antragsbearbeitung bereits erfolgt sei und man damit gute Erfahrungen gemacht habe. Von den übrigen Ländern äußerten sich nur zwei (BW, SL) und verwiesen darauf, dass die Anträge im Interesse einer ortsnahen Verwaltung dezentral bearbeitet würden. Zu Problemen habe dies nicht geführt.

 

(4) Besondere Schulung des Behördenpersonals zu den Strukturen der SED-Diktatur und den Auswirkungen auf die Betroffenen (vgl. BT-Drucksache 20/2220, S. 9)

Einzelne Länder verwiesen auf bestimmte Fortbildungsveranstaltungen und Forschungsaufträge. Das BMAS schlug vor, die Erkenntnisse aus dem Verbundprojekt „Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht“, einer Kooperation der Universitätskliniken Jena, Leipzig, Magdeburg und Rostock, im Rahmen geeigneter Fortbildungsangebote auf Bundes- und Länderebene publik zu machen.

 

b) Anpassung der Definition der Opfergruppen an die Forschung; vgl. Vorschläge der SED-Opferbeauftragten auf BT-Drucksache 20/2220, S. 16-19 und BT-Drucksache 20/7150, S. 29 f.:

 

aa) Opfer von Zwangsaussiedlungen aus dem Grenzgebiet der früheren DDR: Einführung einer dem § 1a Absatz 2 VwRehaG entsprechenden Regelung, die den Betroffenen einen Anspruch auf eine Einmalzahlung einräumen soll

Der Vorschlag, Opfern von Zwangsaussiedlung – ebenso wie Zersetzungs-opfern – einen Anspruch auf eine Einmalzahlung einzuräumen, wurde von den Ländern teilweise als einfache und gute Möglichkeit bezeichnet, die Situation der Betroffenen zu verbessern. Gleichzeitig wurde aber auch in-frage gestellt, ob eine Regelung wie für Zersetzungsopfer sachgerecht sei. Was die Höhe der Einmalzahlung angehe, erscheine es plausibel, sich an der Regelung für Zersetzungsopfer (1.500 Euro) zu orientieren. TH wies – nach der Bund-Länder-Besprechung – darauf hin, dass in TH Ende der 1990er Jahre 2.044 Betroffene von Zwangsaussiedlung jeweils eine einmalige Zuwendung in Höhe von 4.000 DM (2.045 Euro) erhalten hätten.

 

bb) Opfer von Zwangsdoping im Leistungs- und Freizeitsport: Änderung des VwRehaG dahingehend, dass Betroffene (ausdrücklich) unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen

Die Länder BE, BB, ST (Mitteilung erfolgte nach der Bund-Länder-Besprechung) und TH teilten mit, dass nach ihrer Auffassung Zwangsdoping weder der politischen Verfolgung gedient habe noch als Willkürakt im Einzel-all anzusehen sei (vgl. § 1 Absatz 2 VwRehaG) und deshalb eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung nicht in Betracht komme. Das BMJ führte aus, dass bisher auch die Bundesregierung diese Auffassung vertrete. MV und SN erklärten, dass ihrer Meinung nach Zwangsdoping als Willkürakt im Einzelfall dem Anwendungsbereich des VwRehaG unterfallen könne. BB berichtete, dass ein Urteil des VG Potsdam vom 24. April 2023 (VG 11 K 2576/21), in dem ein Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen des DDR-Staatsdopings verneint wurde, demnächst vom BVerwG (8 C 6.23) überprüft werde. Die Länder und der Bund waren sich einig, dass zunächst der Ausgang des Revisionsverfahrens beim BVerwG abgewartet werden sollte, bevor man ein gesetzgeberisches Tätigwerden er-wäge.

 

cc) Opfer von politischer Haft im ehemaligen kommunistischen Ausland: Änderung des StrRehaG dahingehend, dass Betroffene unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen

 

Das BMJ führte aus, dass es deutschen Gerichten aus völkerrechtlichen Gründen grundsätzlich verwehrt sei, hoheitliche Entscheidungen bzw. Maß-nahmen anderer Staaten für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Auch eine Entschädigung komme nicht in Betracht, da die Einstufung einer hoheitlichen Entscheidung bzw. Maßnahme eines anderen Staates als entschädigungswürdig eine Missbilligung darstelle und damit die Souveränität des fremden Staates tangiere. Zudem sei nicht erkennbar, woraus sich eine Verantwortlichkeit Deutschlands für das Handeln fremder Staaten ergeben sollte. Einwände gegen diese Einschätzungen wurden seitens der Länder nicht erhoben.

 

c) Dynamisierung der Opferrente (§ 17a StrRehaG)

Das BMJ erläuterte, dass es bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten Dynamisierung der Opferrente um deren automatische und regelmäßige Anpassung an eine bestimmte Bezugsgröße gehen dürfte. Als Vorbild für eine entsprechende gesetzliche Regelung könne das Soziale Entschädigungsrecht dienen, das bei ähnlichen Leistungen eine am aktuellen Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung orientierte Anpassung vorsehe. Mit Blick darauf, dass sich die bisher in § 17a Absatz 1 Satz 3 StrRehaG vorgesehene Überprüfungsregelung (Überprüfung in einem Abstand von fünf Jahren, erstmals im Jahr 2025) nahezu wortgleich auch in § 8 Absatz 1 Satz 3 BerRehaG finde, müsse neben der Dynamisierung der Opferrente für Haftopfer auch eine Dynamisierung der Ausgleichsleistungen für beruflich Verfolgte erwogen werden. Das BMAS ergänzte, dass sich der Anpassungsverbund mit der gesetzlichen Rentenversicherung seit Jahr-zehnten bewährt habe. Von Seiten der Länder wurde vereinzelt ein erhöhter Verwaltungsaufwand geltend gemacht, der mit einer jährlichen Anpassung der Leistungen verbunden sei, weshalb die bisherige Regelung (Überprüfung alle fünf Jahre) präferiert werde.

 

3. Weitergehende Reformvorschläge

 

a) SED-Opferbeauftragte: Siehe BT-Drucksachen 20/2220 und 20/7150

Das BMJ ging an dieser Stelle auf zwei weitere Vorschläge der SED-Opferbeauftragten ein, die beide das BerRehaG und die dort geregelten Ausgleichsleistungen für beruflich Verfolgte (vgl. § 8 BerRehaG) betreffen. Danach solle zum einen auf die Absenkung der Ausgleichsleistungen bei Renteneintritt und zum anderen auf die Berücksichtigung von Partnereinkommen bei der Bedürftigkeitsprüfung für Ausgleichsleistungen verzichtet werden. Während ein Land den ersten Vorschlag ausdrücklich befürwortete, da Betroffene bei Renteneintritt nicht mehr ausreichend unterstützt würden, wandte ein anderes Land ein, dass ein Verzicht auf die Absenkung der Ausgleichsleistungen bei Renteneintritt mit Blick auf den Nachteilsausgleich in der Rentenversicherung nach dem Vierten Ab-schnitt des BerRehaG zu einer Doppelkompensation führe. Zu dem zweiten an-gesprochenen Vorschlag äußerten sich die Länder nicht. Das BMJ wies insoweit darauf hin, dass die Regelung im BerRehaG (§ 8 Absatz 3 BerRehaG) hinsichtl ch des Partnereinkommens von der Parallelregelung im StrRehaG (§ 17a Absatz 2 StrRehaG) abweiche und deshalb eine Angleichung in Betracht zu ziehen sei.

 

b) Stiftung für ehemalige politische Häftlinge: Aufnahme einer dem § 17a Absatz 5 StrRehaG entsprechenden Regelung in § 18 StrRehaG (vgl. Anlage zur Tagesordnung)

Der Vorsitzende des Stiftungsvorstandes sprach sich für die Aufnahme einer dem § 17a Absatz 5 StrRehaG entsprechenden Pfändungsschutzregelung in § 18 StrRehaG aus. Bedenken dagegen wurden seitens der Länder nicht erhoben.

 

4. Verschiedenes

Bedürfnis für eine neue Regelung bezüglich der Aufbewahrungsfristen für Verfahrensakten nach dem StrRehaG? (Anfrage aus NW)

NW hatte im Vorfeld der Bund-Länder-Besprechung vor dem Hintergrund einer aktuellen Entscheidung des VG Gelsenkirchen (Urteil vom 19. September 2023, 6 K 2098/22, bei juris verfügbar) die Frage aufgeworfen, ob es einer neuen Regelung bezüglich der Aufbewahrungsfristen für Verfahrensakten nach dem StrRehaG bedürfe. Den anderen Ländern waren keine vergleichbaren Fälle bekannt und in Übereinstimmung mit dem BMJ wurde keine Notwendigkeit für ein gesetzgeberisches Tätigwerden gesehen.

 

5. Verabschiedung